Irgendwie schon krass, dass sich ein Superstar wie Thornton nicht zu schade ist, mit den Junioren zu trainieren.
Ein Superstar als Trainingsgast
VON DINO KESSLER
DAVOS – Joe Thornton (27) war in der vergangenen Saison Topskorer und MVP in der National Hockey League. Auf die bevorstehende Saison bereitet er sich da vor, wo es ihm am besten gefällt: in Davos.
Wer diese Woche das Training der Davoser Junioren verfolgt, gerät mitunter ins Staunen. Aber nicht etwa, weil die HCD-Nachwuchscracks besonders innovative taktische Varianten einstudieren – ins Staunen gerät man, weil NHL-Superstar Joe Thornton mit den Davoser Junioren trainiert.
Er sei einfach gekommen, ohne zu wissen, wie die Davoser Planung aussehe. «Und jetzt ist die Mannschaft eben in Finnland», lächelt Thornton, «aber das ist nicht so schlimm. Jetzt trainiere ich eben ein paar Tage mit den Junioren, dann bleiben immer noch drei Wochen mit Arno…»
Das NHL-Lockoutjahr 2004/2005 hat im Landwassertal Spuren hinterlassen. Der HCD rechnete damals von Beginn an damit, dass die gesamte NHL-Saison dem Arbeitskampf zum Opfer fallen würde. Erst wurden die Bündner dafür belächelt, dann beneidet und schliesslich bewundert. Mit den «ausgeschlossenen» Thornton, Rick Nash und Niklas Hagman holte sich der Rekordmeister schliesslich den 27. Titel.
Für Thornton war das Jahr in Davos mehr als nur ein Jahr ohne NHL. In Davos hat er nicht nur die Herzen der Fans erobert – es ist kein Geheimnis, dass er seit dieser Zeit eine Schweizer Freundin hat. «Ja, das stimmt, Tabea pendelt während der Saison zwischen der Schweiz und Amerika.»
Und er will nicht ausschliessen, dass er nach Beendigung seiner Karriere in Davos leben wird. «Ich liebe es hier oben und in der Schweiz, komme immer wieder gerne zurück. Schon vor einem Jahr habe ich mich beim HCD auf die neue Saison vorbereitet.»
Eine Saison, in der es für den 1,93 m grossen Kanadier bald einmal galt, einen Rückschlag zu verkraften: Anfang Dezember tauschten ihn die Boston Bruins – das Team, das ihn 1997 als ersten Spieler im NHL-Draft ausgewählt hatte – für drei Spieler nach San Jose. «Das war ein unglaublicher Schock für mich. Ich dachte ja, dass ich 20 Jahre für die Bruins spielen würde. Aber das ist nun einmal der Brauch in Nordamerika.»
Thornton wäre aber wohl nicht der Superstar, wenn er sich nicht schnell gefangen hätte. Mit San Jose schaffte er den Turnaround und die Playoffs, wurde mit 125 Punkten Topskorer und zum MVP (Most Valuable Player) gewählt.
Für die neue Saison tankt er jetzt Kraft in Davos, trainiert mit dem HCD auf dem Eis, im Kraftraum, auf der Finnenbahn – ja, sogar die Sprungschule lässt er wie alle anderen Spieler über sich ergehen.
Stargehabe ist ihm fremd, der Star Thornton existiert nur auf dem Eis. Auf sein Gegenüber wirkt er freundlich und zurückhaltend – Superstars, die fast 7 Millionen Dollar verdienen, haben meist ein anderes Auftreten...
Am meisten schätzt er Arno Del Curtos Eistrainings. «Das sind unglaubliche Einheiten, hart und schnell, du bist immer in Bewegung. Aber genau das bringt dich weiter. Arno erwartet in jedem Training vollen Einsatz, fordert die Spieler bis zum Äussersten. Vor zwei Jahren sind wir auch darum Meister geworden, weil wir die Kraft hatten, um permanent mit vier
Linien Druck zu machen.»
Rund drei Wochen bleiben Thornton also noch im Landwassertal, dann beginnen in der NHL die Trainingscamps. Aber auf eine Verbindung zu Davos muss er auch in Kalifornien nicht verzichten: Sein Trainer bei den Sharks heisst Ron Wilson – und der war in den 80er-Jahren als Verteidiger mit Offensivdrang mitverantwortlich für zwei HCD-Meistertitel…