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von dms » 19.04.2004 20:35
SonntagsZeitung 18.4.04
Detailhandel auf Kollisionskurs
Der VCS blockiert Investitionen in Milliardenhöhe und ist sich selber uneins über seine Taktik
VON ANDREA FIEDLER
Zürich - Der Schweizer Detailhandel ist nach Erhebungen der bereit, 2,3 Milliarden Franken in neue Einkaufsparadiese zu investieren, meist in Stadtrandlagen. Aber Migros & Co können nicht, weil ihre Projekte blockiert sind. «Seit Jahren behindern uns die Umweltverbände, vor allem der Verkehrsclub der Schweiz», sagt Peter Stefani von Carrefour und Jumbo. Die Migros hebt den volkswirtschaftlichen Schaden hervor: «Wir wollen 935 Millionen Franken investieren; damit würden wir 500 neue Arbeitplätze schaffen.»
Der grösste Detailhändler der Schweiz prescht jetzt vor, um die Rahmenbedingungen im eigenen Sinn zu verbessern: Das Verbandsbeschwerderecht soll beschnitten werden. Ziel der «Reform» soll sein, die Bewilligungsverfahren zu beschleunigen. Wer heute ein Einkaufscenter mit über 5000 Quadratmetern bauen will, muss eine so genannte Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen. Umweltverbände können seit 35 Jahren dagegen rekurrieren mit dem gesetzlich verankerten Verbandsbeschwerderecht.
Der Detailhandel mobilisiert Parlamentarier für eigene Interessen
Im Zentrum der Pläne der Migros zur Revision steht die Initiative des Zürcher SVP-Ständerats Hans Hofmann. Im kommenden Herbst soll diese Initiative vom Ständerat und anschliessend vom Nationalrat abgesegnet werden. Für den Fall, dass das Referendum ergriffen wird, will der Detailhandel seine Lobby gebildet haben. Im Parlament formiert sich um die Nationalräte Otto Ineichen, Jean-René Germanier, Dick Marty, Josef Leu und Franz Wicki eine Gruppe Detailhandel. Die meisten grossen Schweizer Detailhändler beklagen sich derzeit über eine ungenügende Interessenvertretung. Dabei arbeitet beinahe jeder zehnte Beschäftigte im Detailhandel, einer Branche, die jährlich knapp 84 Milliarden Franken Umsatz erwirtschaftet.
Vehement für eine Reform des Verbandsbeschwerderechts setzt sich auch Franz Jaeger ein, Wirtschaftsprofessor an der Universität St. Gallen: «Ich bin noch auf der vorsichtigen Seite, wenn ich schätze, dass in der Schweiz insgesamt Investitionen von 20 bis 25 Milliarden Franken durch Rechtsmittelverfahren blockiert sind und das meiste davon durch Verbandsbeschwerden.» Jaeger betrachtet das Thema als «heisses Eisen», das die Wissenschaft nicht anfasse, weil es wenig Zahlenmaterial gibt, und die Politk nicht, weil sie Angst habe. Konkret fordert Jaeger von einer Reform: Verbandsbeschwerde dürfe nur einlegen,
- wer ein unmittelbares Interesse habe;
- wer demokratisch gewählt wurde: Verbände ohne demokratische Willensbildung und ohne Mitglieder sollen ausgeschlossen werden;
- wer eine Kaution hinterlege: Viele Beschwerden seien nur erfolgreich, weil die Bauherrin vorzeitig einlenke, um langwierige Bewilligungsverfahren zu umgehen;
- wer einen gewissen Schadenersatz sicherstelle: Um fahrlässige Verzögerungsversuche zu verhindern, müsse jene Partei, die unterliege, den Gegner entschädigen.
Mit dieser Reform, so Jaeger, werde «die Verhinderungsindustrie zurückgestutzt, die in den letzten Jahren entstanden ist».
Der Verkehrsclub der Schweiz (VCS) schaltet sich in der Regel wegen der Anzahl Parkplätze, der Anbindung an den öffentlichen Verkehr und der Bewirtschaftung der Parkplätze ein. Eine Studie der Universität Genf aus dem Jahr 2000 bescheinigt immerhin, dass nur ein Prozent aller Verwaltungsgerichtsbeschwerden von Umweltorganisationen stammten. Und: Das Bundesgericht hiess zwischen 1996 und 1998 insgesamt 18,5 Prozent aller Beschwerden gut, jedoch 67 Prozent der Beschwerden der Umweltschutzorganisationen. Das lässt darauf schliessen, dass viele Projekte so schludrig vorbereitet werden, dass den Umweltschutzverbänden Recht gegeben wird. Aber: Die Studie hat nur jene Fälle untersucht, die ans Bundesgericht weitergezogen wurden. Aus dem Forderungskatalog von Franz Jaeger lässt sich jedoch schliessen, dass das nur ein kleiner Anteil ist, weil die meisten Bauherren die langen Verzögerungen scheuen und vorzeitig auf Forderungen eingehen.
Mit der Blockade des Stadions in Zürich hat der VCS ein Imageproblem
An Brisanz gewonnen hat die Auseinandersetzung um das Verbandsbeschwerderecht als Verhinderung wirtschaftlicher Entwicklung oder als Anwalt umweltpolitischer Notwendigkeiten in den letzten Tagen: Seit Mittwoch weisen sich VCS, die Credit Suisse als Investorin und die Stadt Zürich gegenseitig die Schuld dafür zu, dass das Projekt Stadion blockiert ist.
Und erstmals muss sich der VCS fragen, inwieweit seine Blockadehaltung bei einem Projekt, das bereits vom Volk gutgeheissen wurde, dem eigenen Image schadet. VCS-Kommunikationsleiter Felix Adank räumt ein, dass intern derzeit um eine einheitliche Regelung gerungen wird, nach der alle Sektionen gleichermassen Beschwerde einreichen. Denn es gibt Auseinandersetzungen zwischen Hardliner-Sektionen wie Zürich oder Aargau und moderaten wie St. Gallen. Unterschiedliche Auffassungen bestehen, so Adank, zur Frage, wie flächendeckend Beschwerden geführt werden und inwieweit ein möglicher Imageschaden bei einer Beschwerde mit berücksichtigt werden soll.
Von einem einheitlichen Auftritt ist momentan aber auch der Detailhandel noch weit entfernt. «Obwohl wir gleiche Probleme haben, treten wir nicht als Detailhandel gemeinsam auf», sagt Armin Meier, Mitglied der Migros-Generaldirektion.
Deutlich wird dies am Verhalten von Coop: Unter Kollegen schimpft Chef Hansueli Loosli über den VCS und dessen sture Haltung, so an einem Anlass in Pratteln im vergangenen Januar. Gleichzeitig sagt sein Kommunikations-Chef Felix Wehrle: «Wir haben zwar bei fast allen Bauprojekten Einsprachen, aber nur bei einer Minderheit handelt es sich um Verbandsbeschwerden etwa vom VCS.» An gemeinsamen Initiativen des Detailhandels wird sich Coop nicht beteiligen: «Das machen wir grundsätzlich selbst.»
Roland Zanotelli von der Immobiliengesellschaft Tivona kommentiert: «Der Detailhandel wird kaum zusammenspannen, weil der eine daran interessiert ist, dass auch der andere nicht bauen kann.» Dabei gehe es hier nicht um irgendwelche Konkurrenzverhältnisse, sondern um Rahmenbedingungen für die gesamte Branche, sagt Peter Saner, Geschäftsleiter der Swiss Retail Federation.