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von Saxcurler » 29.04.2019 11:38
Es wird nun also doch noch brenzlig - und sind wir ehrlich: ernsthaft damit gerechnet haben nur wenige von uns. Was ist aber jetzt das Richtige? Was soll getan, was muss unterlassen werden? Die Saison dauert noch vier Wochen, fünf Spieltage und noch ist alles möglich. Platz drei und somit ein Fixplatz in der Europa League-Gruppenphase und der Fall in die Barrage liegen praktisch gleich weit entfernt. St.Gallen ist nervös. Unruhig. Und zugleich auch offensichtlich bestrebt, die Kurve zu kriegen.
Schauen wir zurück auf den Beginn der Saison. Die ersten zwei Spiele gegen Basel und Sion haben eigentlich schon alles gezeigt, was in dieser Saison in St.Gallen läuft. Einerseits ist da der unermüdliche Einsatz und die grosse Laufbereitschaft, die von uns Fans gefordert und geliebt wird. Sie hat uns in Basel in der Nachspielzeit den Siegtreffer eingebracht. Andererseits klebt uns diese Saison auch etwas das Pech an den Füssen. Mag das Eigentor von Quintilla im ersten Spiel ein Sinnbild dafür sein. Diverse Elfmeter- und Abseitsentscheidungen zu Ungunsten unseres Teams folgten. Und, aus dem Sion-Spiel, die vielen Gegentore, die meist auf eine ähnliche Art und Weise fallen. Flanken von der Seite, sei es nach Freistössen oder nach Eckbällen, die uns das Leben schwer machen. Einerseits, weil wir körperlich in der Defensive zu klein sind und auch individuelle Stellungsfehler einbauen. Aber trotzdem, und das macht uns ja stolz, haben auch eben diese zwei ersten Spiele bei vielen erstaunte Gesichter über die Spielweise unseres Clubs ausgelöst. St.Gallen dominierte Spiele. Gegen Basel. Gegen $ion. Wann haben wir das zuletzt gesehen?
Fakt ist, St.Gallen kann Pressing und Forechecking. Unsere Spieler können kreative und schöne Tore. Sie haben das in dieser Saison oft gezeigt und sie haben es bei Zeidler gelernt. Für mich ist er also immernoch der richtige Trainer und hat trotz momentan brenzliger Tabellensituation vieles richtig gemacht.
Doch woran liegts? St.Gallen ist verunsichert. Die Tabellensituation, der Erwartungsdruck von aussen und die medial aufgepushten Nebenschauplätze machen dem jungen Kader zu schaffen. Natürlich, wenn du mal auf Platz drei liegst, dann willst du dort bleiben. Wenn du mal 15 Punkte Vorsprung auf einen Abstiegsplatz hattest, dann willst du dieses Kapitel abhaken. Man darf aber an dieser Stelle zwei Dinge nicht vergessen: Platz drei ist das Optimum, das unser Verein momentan erreichen kann. Es darf nicht als Referenz genommen werden. Und, damit wir immernoch unserem FCSG zujubeln können, mussten beim Kader und im gesamten Verein finanzielle Einsparungen gemacht werden, welche sich nun aufzeigen.
St.Gallen kann nicht drei fertig ausgebildete, überdurchschnittliche, erfahrene Führungsspieler kaufen. Aber es kann sie selber machen. Dafür kauft man einen jungen Spieler, gibt ihm Zeit, bildet ihn passend auf ein Spielsystem weiter und dann wird er plötzlich ein genialer Spieler. Kutesa ist so ein Beispiel. Bakayoko ein anderes, wobei dieser noch nicht gekauft wurde. Muheim, Nias Hefti oder Ruiz, die in der Entwicklung noch etwas weiter zurück sind und darum Schritt für Schritt herangeführt werden. Was bringt uns dieses Vorgehen? Transfergewinne. Natürlich nicht garantiert, aber die Möglichkeit dazu ist durchaus da. Und ein Wittwer bringt diese Möglichkeit halt nicht mehr. Da mag er noch so ein toller Kämpfer sein, in der Langzeitperspektive spielt er eine zu geringe Rolle, um ihm einem jungen Perspektivspieler in der nächsten Saison noch einmal vor die Nase zu stellen.
Ein solches Vorgehen braucht aber Zeit. Zeit, die sich die Führungscrew um Hüppi, Sutter und Zeidler auch nimmt. War YB in der ersten Saison unter Hütter gleich erfolgreich? War zum Beispiel Fassnacht von Anfang ein Leistungsträger? Oder Sow? Der Unterschied zu uns ist vielleicht, dass wir keine 3 Millionen für einen Sulejmani oder Benito und ein Jahresgehalt für einen Hoarau übrig haben. Ich finde es positiv, dass bei unserem Verein eine Ziel in Sicht ist, ein Plan verfolgt wird und man sich von diesem nicht immer gleich abbringen lässt. Kontinuität wird den Erfolg bringen, eine DNA-Einimpfung dauert wie eine Geschlechtsmutation nicht 3 Monate, sondern braucht Zeit. Wenn ich aber gesehen habe, wie der FCSG spielt, wenn der Plan aufgeht, dann bin ich gerne bereit, auch als Fan diese Zeit zu geben. Es wird sich lohnen.
Dieses "Spielen auf Zeit" hat uns natürlich in dieser Saison auch einige Punkte gekostet. Das System ist bei guter Umsetzung genial, effektiv und attraktiv (es gibt Gründe, weshalb viele Topteams auf dieses System zählen), aber halt zu Beginn auch fehleranfällig. Die einzelnen Spieler werden kognitiv stärker gefordert. Die Rolle auf einzelnen Positionen werden ganz anders definiert als bei einem klassischen 4-4-2 oder ähnlichem. Nehmen wir das Beispiel des Aussenverteidigers: Im 4-3-3 ist er Aussenverteidiger in der Defensive, im Angriff aber vorderster Flügel, weil die drei Stürmer Präsenz im Strafraum markieren sollten. Das benötigt enorme Laufbereitschaft und Mut. In der Offensive ist das System bei guter Umsetzung ein rollender Dampfzug in Richtung gegnerischem Tor mit den zwei offensiven Aussenverteidigern, den drei Sturmspitzen im Strafraum und dem Mittelfeld an der Strafraumgrenze für zweite Bälle. Das benötigt Bereitschaft, nach vorne zu gehen und Mut.
Und hier spielt die Verunsicherung hinein. Die zu vielen Gegentore nach Konter, wie gegen Lugano und Luzern, aber zuletzt auch beim 2:0 und 3:0 gegen Basel verleiten die Spieler dazu, safety first zu spielen. Sie getrauen sich also nicht mehr gleich in die Offensive zu stürmen und dort ein Gleichgewicht zu schaffen, weil sie Angst vor dem Auskontern haben. Das führt dazu, dass unser Spiel weiter auseinander gezogen wird und die Präsenz vorne fehlt. So spielen dann immer drei Stürmer und zwei Mittelfeldspieler (meist Sierro und Ashimeru) gegen eine Defensive von 8 Spieler, was natürlich das Toreschiessen schwieriger macht. Auch das Pressing nach Ballverlust kommt wegen den zu grossen Abständen weniger zur Blühe. Zeidler ist sich dieses Problems wohl sehr wohl bewusst, auch die Spieler wissen um diese Schwäche. Aber Verunsicherung lässt sich nicht immer so leicht ablegen, vor allem wenn es wie gegen Luzern nach anfänglicher guter Umsetzung des Systems wieder zu einem doofen Gegentor kommt.
An dieser Stelle kommt dann eben der Erwartungsdruck hinzu. Die Fans in St.Gallen sind genial, sie wollen für den Club immer das Beste und kommen auch bei schlechten Phasen trotzdem ins Stadion. Unter Leitung des Präsidenten Hüppi haben sie aber auch nach dem zwischenzeitlichen dritten Rang und dem gesehenen Potential der Mannschaft eine Sehnsucht nach einer Erfolgseuphorie entwickelt. Es ist ein positiver Druck für die Spieler, der aber auch zur Last werden kann. Nämlich dann, wenns grad mal nicht so läuft und die Zuschauer und auch die Spieler enttäuscht sind. Der Umgang mit dem Druck, dafür braucht man eben diese erfahrenen Spieler, die wir so noch nicht haben. Aber hey, auch die Spieler lernen dazu und können irgendwann mit solchen Situationen besser umgehen. Und auch das gibt wiederum Hoffnung für die Zukunft. Mit Zeidler haben sie auch den pädagogisch richtigen Lehrer, um aus solchen Situationen zu lernen. Einer, der ihnen wieder die Chance gibt und ihnen Fehler erlaubt. Das mag für uns Fans manchmal unverständlich sein, wenn einer immer wieder spielt. Aber psychologisch kann es vorausblickend sehr wertvoll sein.
Neben der Verunsicherung kommen Unruhen erschwerend hinzu. Die Geschichte um das Interview von Barnetta wurde öffentlich wohl falsch dargelegt, hochgepusht und auf wenige Aussagen eingeschränkt. Dass ein sonst sehr bereitwilliger Interviewpartner wie Lüchinger aus Enttäuschung über die Berichterstattung keine Aussagen machen will, mag diesbezüglich ein Zeichen sein, dass die internen Geschehnisse nicht dem Berichteten entsprechen. Das mag nur eine Vermutung sein, doch ist es an uns Fans, auch die mediale Berichterstattung manchmal kritisch zu begutachten und nicht in Foren oder am Stammtisch gleich wieder darüber herzuziehen.
Was der FCSG nämlich jetzt braucht, ist Ruhe. Ruhe, um das System weiter greifen zu lassen, die Spieler weiter voranzutreiben und sich auf das Wesentliche konzentrieren zu können. Ein Erfolgserlebnis auf dem Platz, ein Sieg gegen GC, das diesen ach so gehassten Verein in die Zweitklassigkeit schickt. Wir müssen unserem Verein aber auch Fehler erlauben, im Wissen, dass ein langfristiger Plan vorhanden ist, der uns hoffentlich irgendwann glorreiche Zeiten bringt. Ein anderes System zu fordern wäre jetzt falsch. Das können wir dann machen, wenn das jetztige gut funktioniert und die Spieler reifer sind und das Können haben, zwischen zwei System hin und her zu switchen.
Was wir auf keinen Fall machen dürfen, ist, diese Verunsicherung mit zu hohen Erwartungen und dem Aufpushen von Nebenschauplätzen zu verstärken. Es wäre ein klassisches Eigentor, wie es Quintilla eben im ersten Spiel geschossen hat. Der jetzigen Führung verdanken wir gesunde Finanzen, eine regionale Verankerung, die Möglichkeit wieder das Stadion zu füllen und überhaupt das Weiterleben unseres Clubs. Geben wir diese Dankbarkeit also mit vollem Einsatz für den Club zurück, damit wir in der Schlussphase der Saison diese noch retten und am Schluss als Sieger dastehen können. Voller Einsatz für den Siegtreffer in der Nachspielzeit - wie im ersten Spiel gegen Basel. Das entscheidende Tor darf gerne der vielkritisierte Topscorer Sierro machen. Oder noch lieber Itten.